Volontariat

Nur wenige Tage nach meinem Abitur 1971 bewarb ich mich bei der Hasper Zeitung, einer kleinen, aber traditionsreichen lokalen Tageszeitung, um dort von der Pike auf das journalistische Handwerk eines Lokalredakteurs zu erlernen. Da der Redaktionsstab nur klein war, erhielt ich sofort Gelegenheit, selbständig Artikel zu allen möglichen Themen zu verfassen; darüber hinaus durfte ich in Eigenregie eine wöchentliche Jugendseite gestalten, auf der ich unter anderem die ersten Schritte der später sehr erfolgreichen Hagener Rockband Grobschnitt journalistisch begleitete. Die erste Lektion, die ich als Volontär lernte, lautete übrigens: Von jetzt an sind handschriftliche Manuskripte passé; die Artikel werden direkt in die Schreibmaschine gehackt. Dieses Prinzip übertrug ich dann auch auf mein privates Schreiben, nachdem ich mir von meinem ersten Gehalt als Redaktionsvolontär eine eigene Reiseschreibmaschine gekauft hatte.

Foto © Joachim H. Ehrig

Der junge Intellektuelle KUB im Jahre 1971 – stachelig, skeptisch, widerborstig ...
Foto © Joachim H. Ehrig

(Für jüngere Leser sei hier angemerkt: Es handelte sich dabei um mechanische Schreibmaschinen; elektrische Schreibmaschinen waren in den Zeitungsredaktionen jener Tage noch eine Seltenheit und allein den Chefs vorbehalten, und von Rechnern, Bildschirmen und Computertastaturen träumten höchstens Science-Fiction-Autoren, aber nicht gestandene Zeitungsjournalisten. Die Artikel, die wir auf teils vorsintflutlichen Maschinen schrieben, wurden sodann nach unten in eine große Halle gebracht, wo Setzer sie an gewaltigen Maschinen mit Hilfe siedend heißen Bleis Zeile um Zeile in Bleisatz verwandelten. Parallel dazu wurden die größeren Überschriften der Artikel im Handsatz aus einzelnen Lettern zusammengefügt und anschließend zusammen mit den Bleizeilen und den auf einer weiteren Maschine hergestellten Fotoklischees von sogenannten »Metteuren« zusammengeführt und straff in große Holzrahmen eingespannt. Von den so entstandenen Seiten formten die Metteure dann Negativmatrizen ab, von denen endlich, nachdem man sie zunächst gekrümmt hatte, noch einmal ein Positiv abgenommen wurde, das die Grundlage für den Rotationsdruck darstellte. Vor dem Anfertigen der Matrizen wurden vom fertigen Bleisatz zunächst aber noch Korrekturfahnen abgezogen, die dann wieder nach oben in die Redaktion gingen, wo jemand – und dieser Jemand war in der Regel ich als Volontär – die Texte Korrektur las, die Fehler mit Korrekturzeichen nach Duden versah und die Fahnen dann wieder hinunter zu den Setzern brachte, damit sie die fehlerhaften Zeilen neu setzen konnten.)

Eines Morgens – ich glaube, es war Ende Oktober oder Anfang November – kam ich wie gewohnt zur Arbeit in die Redaktion und mußte feststellen, daß die Hasper Zeitung über Nacht an einen der örtlichen Konkurrenten, nämlich die CDU-nahe Westfalenpost, verkauft worden war. Uns Journalisten stand frei, neue Jobs bei der Westfalenpost anzunehmen. Da ich alles andere als CDU-nah war, ging ich lieber zwei Monate in die Arbeitslosigkeit und wechselte dann zum 1. Januar 1972 zur in Dortmund erscheinenden SPD-nahen Westfälischen Rundschau, wo ich in der Lokalredaktion Hagen nach und nach fast alle Kollegen wiedertraf, mit denen ich auch schon bei der Hasper Zeitung zusammengearbeitet hatte.

Bei der Westfälischen Rundschau wurde ich vorwiegend in der Lokalredaktion Hagen eingesetzt, wo ich ein paar Monate lang eine Stadtteilseite für Haspe eigenverantwortlich gestalten durfte. Zwischendurch schickte mich der Chef vom Dienst auf eine Rundtour durch verschiedene andere Lokalredaktionen. Unter anderem verschlug es mich dabei nach Neheim-Hüsten, wo ich nicht nur von der Beisetzung des früheren Bundespräsidenten Heinrich Lübke im sauerländischen Enkhausen berichten durfte, sondern über einen Rundschau-Kollegen auch meine spätere Frau kennenlernte.

1973 beendete ich schließlich meine Ausbildung und ging nach Münster, um dort Publizistik, Soziologie und Politikwissenschaften zu studieren – das Ende einer sehr intensiven Zeit, während der ich Gelegenheit hatte, unter so großartigen Lokaljournalisten wie Horst Kniese, Manfred Möller und dem inzwischen leider verstorbenen Werner Scheler zu arbeiten. All die anderen Kollegen, mit denen ich damals zusammenarbeiten durfte und die meine Lehrzeit alles in allem zu einem reinen Vergnügen machten, kann ich an dieser Stelle leider nicht aufzählen. Aber ihnen allen bin ich dankbar dafür, daß sie durch ihre kollegiale Art mein Volontariat nicht nur zu einer lehrreichen, sondern auch zu einer menschlich angenehmen Erfahrung gemacht haben.

Foto © Norbert Nowotsch

Bereits im Jahre 1972 hatten mein Freund Ulrich Einhaus (1952-2012) und ich zusammen eine pseudo-historische Polit-Satire mit dem Titel Guerillas im Sauerland geschrieben. 1977 faßten wir den Entschluß, diese Erzählung im Selbstverlag zu veröffentlichen. Die Druckvorlage dazu war bereits erstellt, als wir uns schließlich schweren Herzens doch gegen eine Veröffentlichung entschieden. Zu diesem Zeitpunkt erreichte nämlich der Terror der RAF einen neuen Höhepunkt, der heute so genannte »Deutsche Herbst« brach an, und in dem dadurch entstehenden Klima der Angst und des Mißtrauens hätte unsere Polit-Satire nur allzu leicht mißverstanden werden können. Auch später sind wir nie wieder auf dieses Projekt zurückgekommen.

Das hier vorangestellte Foto, 1977 entstanden, war als Autorenfoto für die geplante Veröffentlichung gedacht. Darauf stellen Ulrich Einhaus und ich das Bild eines unbekannten Künstlers nach, das Karl Marx und Friedrich Engels bei der gemeinsamen Arbeit zeigt; das Original findet sich auf Seite 80 der Einführung in den dialektischen und historischen Materialismus, erschienen im Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt am Main 1973. Unser damaliges Erscheinungsbild und vor allem unsere jeweilige Haartracht legte dabei nahe, daß ich den Marx und Uli den Engels gab.

Die Bildunterschrift in der Einführung lautete übrigens »Marx und Engels verband eine das ganze Leben währende Freundschaft«. Für Ulrich Einhaus und mich galt dieser Satz genauso.