Erocs Dokumentation über Radio CAE

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© Eroc  

Anfang der 1970er Jahre schlossen im westfälischen Hagen zwei junge Männer Freundschaft miteinander.

Der eine stand kurz vor dem Abitur; bald danach (aber das wußte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht) würde er eine Ausbildung zum Zeitungsredakteur beginnen. In Wirklichkeit träumte er aber von einer Karriere als Science-Fiction-Autor. Einen ersten Roman hatte er sogar bereits geschrieben, aber noch nicht verkauft.

Der andere war seiner Ausbildung nach Chemielaborant, aber seine wahre Leiden­schaft galt der Musik. Nachdem er bereits seit 1966 in der Hagener Schülerband The Crew Schlagzeug gespielt hatte, war er nun gerade dabei, zusammen mit ein paar anderen Hagener Musikern eine neue Band zu gründen, die den Namen Kapelle Elias Grobschnitt tragen sollte, der wenig später dann zu Grobschnitt ver­kürzt wurde.

Der eine junge Mann war ich; der andere war Joachim Heinz Ehrig, den man heut­zutage wohl eher unter seinem Künstlernamen EROC kennt. Neben seiner Tätigkeit als Schlagzeuger und Soundtüftler für Grobschnitt brachte er bald auch erste Solo-Platten heraus und landete mit seiner Instrumental-Single Wolkenreise einen Mega­hit, der es ihm ermöglichte, sich ein eigenes Studio einzurichten. Fortan produzierte er eine ganze Reihe von Gruppen wie etwa Philip Boa and the Voodoo Club. Heute ist er in erster Linie im Bereich des Remasterings klassischer Rock- und Popmusik tätig.

Aber das alles lag damals noch in weiter Ferne.

Worüber unterhalten sich zwei musikbegeisterte junge Männer, die gerade Freund­schaft geschlossen haben? Nun, zum Beispiel über das, was man heute wohl ihre "musikalische Sozialisation" nennen würde. Ich selbst hatte die Rock- und Popmusik erst 1967 im Fernsehen durch den Beatclub und im Radio durch den britischen Truppensender BFBS mit seiner "Top Twenty Show" entdeckt. Der ein Jahr ältere Eroc war mir da um einiges voraus, denn bereits 1960, also im Alter von 9 Jahren, hatte er angefangen, mit Röhrenradios und Antennen zu experimentieren. Seine wichtigste Inspirationsquelle in Sachen Musik war ein Sender gewesen, den es zum Zeitpunkt unseres Kennenlernens schon nicht mehr gab: der kanadische Truppen­sender CAE, der viele Jahre lang von den Victoria Barracks auf dem Haarstrang zwischen Werl und Wickede aus gesendet hatte, wo sich nicht nur der Sendemast, sondern auch das Studio befand, in dem neben kanadischen Militärangehörigen auch deutsche Techniker arbeiteten. Als die kanadischen Truppen aus Werl abgezo­gen wurden, war der Sendebetrieb eingestellt worden, was Eroc außerordentlich bedauerte.

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Der Sendemast von Radio CAE zwischen Werl und Wickede · © Eroc

Inzwischen hatte ich die bereits erwähnte Ausbildung zum Zeitungsredakteur begonnen, und da meine dortige Tätigkeit ohne fahrbaren Untersatz schlichtweg unmöglich gewesen wäre, hatte mein Vater mir einen gebrauchten VW gekauft. In diesem himmelblauen Gefährt mit Halbautomatik machten wir uns eines Abends auf zu einer Expedition, die uns zum CAE-Sendemast führen sollte, den Eroc mir gerne einmal zeigen wollte. Nach einigen Um- und Irrwegen erreichten wir schließ­lich Wickede, und als wir den steilen Anstieg zum Haarstrang hinauffuhren, ragte der Mast endlich vor uns in den Himmel auf. Allerdings konnten wir ihn nur von der Straße aus bewundern, denn das Kasernengelände war natürlich nicht zugänglich. Von dort aus ging unsere Fahrt dann weiter durch die eisige, sternen­klare Nacht, auf engen Straßen den Haarstrang entlang. Irgendwo hielten wir trotz der Kälte an, stiegen aus und schauten hinauf ans Firmament. Niemals zuvor oder danach habe ich wieder so viele Sterne an einem Nachthimmel gesehen. Es war der magische Abschluß einer wunderbaren Reise zum Ort von Erocs Träumen.

Ich selbst kam später oft zusammen mit meiner Frau an den Victoria Barracks vorbei, weil meine Schwie­gereltern nur wenige Kilometer entfernt davon wohnten. Eines Tages war der Sen­de­mast plötzlich verschwunden – man hatte ihn abgebro­chen. Sic transit gloria mundi ...

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Die Crew von Radio CAE im Jahre 1970 · © Eroc

Für Eroc jedoch war Radio CAE alles andere als vergangen und vergessen. Zusam­men mit einigen Mitstreitern richtete er zunächst im Jahr 2000 eine Internetseite ein, auf der er Fotos und Dokumente zu diesem Sender veröffentlichte. Diese Internetseite hatte erstaunliche und weitreichende Wirkungen. Sogar aus Kanada meldeten sich ehemalige CAE-Mitarbeiter, es entstanden Freundschaften, Erocs alte CAE-Heroen kamen ihn in Deutschland besuchen, und gemeinsam besichtigte man die alten Victoria Barracks und schwelgte in Erinnerungen. Nur der Sendemast stand damals leider schon nicht mehr.

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Eroc (links im Bild) und zwei seiner kanadischen Gäste im Jahr 2002 · © Eroc

Und jetzt hat Eroc sogar einen Dokumentarfilm über Radio CAE gemacht. Den Vor­spann mitgerechnet, ist er genau 49 Minuten und 30 Sekunden lang, und man kann ihn seit dem 18. Oktober 2020 auf YouTube und Vimeo bewundern. Dazu schreibt Eroc in einer von ihm anläßlich des Starts der Dokumentation verbreiteten Presse­erklärung:

Eroc über die Geschichte von Radio CAE

Ein Stückchen Radiogeschichte lässt die Welt ein wenig kleiner werden – wie eine lokale Station lange vor Smartphone und Co Menschen auf der ganzen Welt vernetzte.

Am 18. Oktober 1970 stellte Radio CAE, der Sender der kanadischen Streit­kräfte in Westfalen, seinen Betrieb nach über 14 Jahren ein. Die Garnisonen aus Werl, Soest, Hemer und Iserlohn wurden nach Süddeutschland verlegt und die Militärcamps im Werler Stadtwald verloren ihren Nutzen. Doch auch nachdem der Sender die UKW-Frequenz 87.8 MHz wieder freigab, gerieten Shows wie Pops On Parade, Teen Time, Best Of The West oder Western Express die ihrerzeit nicht nur die stationierten Soldaten, sondern auch die deutsche "Shadow Audience" begeisterten, nicht in Vergessenheit.

Zum 50. Jahrestag dieses Ereignisses entstand nun ein Porträt, das die Ge­schichte und das Ende der Station noch einmal hautnah erleben lässt. Doch vor allem beleuchtet es die menschlichen Verbindungen, die eine gemein­same Leidenschaft jenseits der Grenzen von Nationalität und Sprache zu knüpfen vermag.

In höchster Qualität restaurierte Fotos, Videos und originale Filmausschnitte sowie Sendungsmitschnitte, Statements ehemaliger Mitarbeiter und selbst die Beatles sind dabei. Abgerundet wird der 48-minütige, zweisprachige Film mit Bildern und Interviews aus der Zeit danach. Denn die Kraft von Radio CAE, Menschen auf verschiedensten Teilen der Erde zu verbinden, endete nicht mit dem letzten Funksignal.

Das alles und mehr zeigt die Dokumentation, die Eroc, Musiker und CAE-Hörer der ersten Stunde, als Tribut an die Station und ihre Mitwirkenden zusammenstellte. Zusätzlich zu der Veröffentlichung am 18.10. um 23:30 auf Youtube erhielten Radiofans außerdem ein besonders nostalgisches Geschenk: die letzten vier Stunden von Radio CAE wurden ebenfalls am 18. Oktober von 20 bis 24 Uhr MESZ mit 100.000 Watt auf Kurzwelle noch einmal rund um den Globus abgestrahlt. Die Frequenz für Europa war dabei 7.500 kHz.

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