Rezensiert: Weigand, Eisfeld, Bloch

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© Verlag Dieter von Reeken / Jörg Weigand

Jörg Weigand

Paris. Erinnerungen an Monate, die mein Leben veränderten

Verlag Dieter von Reeken 2022
Paperback · 184 Seiten

ISBN 978-3-945807-68-2
(D) € 15,00 (plus € 3 Versand)

Im März dieses Jahres hat Jörg Weigand wieder einmal ein neues Buch heraus­gebracht. Diesmal geht es darin allerdings nicht um Science Fiction, Leihbücher oder andere damit verwandte Themen; vielmehr erinnert er sich darin an seine Studienzeit in der französischen Hauptstadt, es ist also ein Stück Autobiographie. Daß er dort an der "École Nationale des Langues Orientales Vivantes" studieren konnte, verdankte er einem vom französischen Staat ausgeschriebenen Stipen­dium, das ihm möglicherweise zuerkannt wurde, weil er schon während seines Sprachstudiums in Deutschland sechs Veröffentlichungen zu ostasiatischen Themen aufzuweisen hatte. Begleiten wir ihn nun also auf seiner Zeitreise in das Paris der 1960er Jahre!

Es waren in der Tat "Monate, die sein Leben veränderten", denn endlich war er seinem tyrannischen Vater entronnen, der ihn in jungen Jahren nicht nur körper­lich, sondern auch seelisch schwer mißhandelt hatte. Das Erste, was sich nach seiner Ankunft in Paris einstellte, war folglich ein Gefühl der Freiheit, das er in vollen Zügen genoß. Er promenierte staunend durch die Metropole und lernte dabei einen der Bouquinisten näher kennen, die ihre Stände längs der Seine hatten. Später würde ihm dieser sogar das Angebot machen, seinen Stand zu übernehmen, das Jörg Weigand zwar kurzzeitig erwog, dann aber doch dankend ablehnte. Der Verlust für die deutsche Science Fiction und Phantastik wäre wirklich allzu groß gewesen!

Quartier nahm er dank der Vermittlung einer befreundeten Familie in einem "Dienstmädchenzimmer" ("chambre de bonne"), wie es sie damals in den obersten Etagen vieler Stadtvillen gab – ein durchaus gewöhnungsbedürftiger, alles andere als gemütlicher Ort, aber für einen armen Studenten wie Jörg Weigand gerade eben noch erschwinglich.

Nach Beginn des Semesters wurde er rasch auch Teil eines Freundeskreises, der sich um seine aus Vietnam stammende Mitstudentin Vanida gebildet hatte – Vanida, die zur ersten großen Liebe des jungen Studenten werden sollte. Daß damit auch erste sexuelle Erlebnisse verbunden waren, beschreibt Jörg Weigand außer­ordent­lich dezent.

Dies blieben aber nicht die einzigen neuartigen Erfahrungen, die der junge Jörg Weigand in Paris machte. Erstmals gelang es ihm, Kontakte zu französischen Verlagen zu knüpfen, die ihm später während seiner Tätigkeit als Herausgeber französischer Science Fiction und Phantastik noch sehr nützlich werden sollten. Außerdem wurde er Zeuge der ersten Anfänge der Studentenrevolte, die einige Jahre später im Pariser Mai 1968 kulminieren sollte, und beobachtete einen brutalen Knüppeleinsatz der Pariser Polizei gegen friedliche Studenten. Und er erlebte im Theater Odéon die französische Uraufführung des Theaterstückes "Les paravents" von Jean Genet mit, in dem die französische Kolonialpolitik und die Rolle des Militärs in den Kolonien scharf kritisiert wurde. Das Ensemble zog die Auffüh­rung trotz massiver Störversuche aus dem Publikum – so gab es nicht nur Schmäh­rufe, sondern es wurden auch Tomaten, Eier, Baguettebrocken und allerhand Undefinier­bares auf die Bühne geworfen – bravourös durch!

Jörg Weigands Studienzeit in Frankreich ist aber nur ein Aspekt dieses überaus lesenswerten Memoirenwerks. Im scharfen Kontrast zu der liberalen Pariser Atmosphäre stehen seine Erinnerungen an die Tyrannei seines Vaters, die er immer wieder einstreut. Erst durch sie wird so recht deutlich, wieso Jörg Weigands Zeit in Frankreich wie eine einzige große Befreiung auf ihn wirkte. Besonders erschütternd ist dabei eine Szene, in der der Autor beschreibt, wie er noch während seiner Schul­zeit seinen Vater am liebsten mit einem Messer umgebracht hätte, nachdem dieser offenbar den Versuch unternommen hatte, eine der Schwestern des jungen Jörg Weigand sexuell zu mißbrauchen. Erst in letzter Sekunde konnte eine Nach­barin Jörg Weigand daran hindern, indem sie ihm das Messer abnahm. In der Familie wurde der ganze Vorfall ab da einfach totgeschwiegen. Die Spuren, die er hinterließ, waren indes gravierend: "Meine Schwester allerdings trug ihr ganzes Leben schwer daran und ist schließlich darüber zerbrochen."

Fazit: Ein großartiges Erinnerungsbuch, durch das man den Autor und Herausgeber Jörg Weigand einmal von einer ganz anderen Seite kennenlernt!

Illustriert ist der Band übrigens mit 15 sehr stimmungsvollen Schwarzweiß-Fotos. 14 davon hat Jörg Weigands Freund und Kollege Hans-Dieter Furrer zwischen 1962 und 1974 in Paris aufgenommen; begegnet sind sich die Beiden damals aber nie, obwohl sich ihr Aufenthalt in der französischen Metropole wenigstens kurzzeitig überschnitt.

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© Verlag Dieter von Reeken / Hayrullah Kaya,
shutterstock.com 2021

Rainer Eisfeld

Rock'n'Roll und Science Fiction

Wie die Bundesrepublik modern wurde

Verlag Dieter von Reeken 2022
Paperback – 164 Seiten
(D) € 15,00
ISBN: 978-3-945807-62-0

Nach unserer Zeitreise in die 1960er Jahre gehen wir jetzt gleich noch einmal ein weiteres Jahrzehnt zurück, nämlich in die 1950er Jahre, die keineswegs so konser­vativ und bieder-verschnarcht waren, wie es heute gerne dargestellt wird. Ich selbst (Jahrgang 1952) habe die spannenden Umwälzungen dieser Zeit als Kind nur sehr am Rande erlebt – ganz im Gegensatz zu Rainer Eisfeld (Jahrgang 1941). Und so weiß er als jugendlicher Zeitzeuge in seinem neuesten Buch "Rock'n'Roll und Science Fiction. Wie die Bundesrepublik modern wurde" aus eigenem Erleben viel Spannendes über ein Jahrzehnt zu berichten, das bereits eine Menge an Spreng­kraft zu bieten hatte.

Rainer Eisfelds neuestes Buch? So ganz stimmt das nicht, denn diese Publikation fußt auf seiner Studie "Als Teenager träumten. Die magischen 50er Jahre" aus dem Jahr 1999. Rainer Eisfeld hat den Text allerdings gründlich umgekrempelt – etliche Kapitel wurden gestrichen, viele neue kamen hinzu – und den Band darüber hinaus mit einer Menge an wunderbarem Bildmaterial angereichert, vieles davon übrigens in Farbe. Nur die Pressefotos nicht, denn die waren damals ja durchweg in Schwarz­weiß.

Bereits in sehr jungen Jahren war Rainer Eisfeld ein begeisterter Science-Fiction-Fan. Er leitete nicht nur den Bonner SF-Club, sondern übersetzte schon früh Roman­hefte für die Reihe TERRA aus dem Münchener Moewig-Verlag – wie er selbst schreibt, waren diese Übersetzungen "unverhoffte Gelegenheiten zur Aufbesserung des Taschengelds." Lange, bevor er zu studieren begann und viele Jahre später auf eine Professur für Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück berufen wurde, sah es eher so aus, als würde ihn sein weiterer Berufsweg in Richtung Journalismus führen. Tatsächlich wirkte er nämlich an der Konzeption einer Konkurrenzzeitschrift zur BRAVO mit. Das Ergebnis hieß "hallo – die Zeitschrift mit Pfiff" und brachte es immerhin auf über 30 Ausgaben, bevor sie Mitte 1960 eingestellt wurde. In dieser Zeit interviewte Rainer Eisfeld damalige Musikikonen wie Connie Francis, Peter Kraus oder Ted Herold oder Filmstars wie Vera Tschechowa oder Kai Fischer. Peter Kraus und Ted Herold? Genau, das waren jene deutschen Rock'n'Roller, die eine eher weichgespülte Version der aus Amerika herüberschwappenden Rock'n'Roll-Welle für das deutsche Fanpublikum lieferten. Rock'n'Roll, das hieß damals: Rebel­lion, denn bei Konzerten kam es durchaus auch einmal zu Saalschlachten. Den 'richtigen' Rock'n'Roll, also den amerikanischen, lieferte damals natürlich nicht das brave deutsche Fernsehen oder die ebenso braven deutschen Radiosender, sondern Radio Luxemburg. Da erfuhr man dann wenigstens, ob Elvis Presley gerade eine neue Platte herausgebracht hatte! Und außerdem gab es in den Lokalen, in denen sich Teenager trafen, immer auch eine gut bestückte Jukebox ...

Als nicht weniger explosiv empfanden die Jugendlichen der 1950er Jahre aber auch die Filme – natürlich nicht die deutschen Herz-Schmerz-Heimatfilm-Produkte, sondern die so viel spannendere Ware aus dem Ausland, etwa "Die Saat der Gewalt" ("Blackboard Jungle"), "Denn sie wissen nicht, was sie tun" mit einem jugendlichen James Dean, die ruppig-charmanten Kriminalfilme mit Eddie Constan­tin oder die französischen Streifen mit der sexy Françoise Arnoul. Dazu eine sehr hübsche Episode, die ein "ehemaliger Gymnasiast" (Rainer Eisfeld himself?) zu erzählen weiß:

"Während der großen Pause herrschte im Sekretariat immer gewaltiges Gedränge. Bei der Gelegenheit musste man aufkreuzen und behaupten, der Schülerausweis sei weg – verloren, verlegt, was weiß ich. Jedenfalls benötige man dringend Ersatz zum Kauf der verbilligten Buskarte. Hatte die Sekretärin die Formulare hervor­gekramt, kam es darauf an, treuherzig zu sagen: 'Mein Gott, was für ein Betrieb. Frau Berger, machen Sie sich keine Umstände. Ich fülle das Ding schon aus. Wenn Sie nur stempeln und unterschreiben würden.' Weil sie uns kannte, funktionierte das in der Regel. Anschließend brauchte man bloß noch ein falsches Geburtsdatum einzutragen. Dann konnte man den Ausweis ruhigen Gewissens bei der Kontrolle an der Kinokasse vorzeigen. Viele von uns waren 1955 noch keine 16, geschweige denn 18. Filme mit Eddie Constantine oder Françoise Arnoul wären uns glatt entgangen. Die mußte man aber gesehen haben, wenn man mitreden wollte."

Natürlich wäre Rainer Eisfeld nicht Rainer Eisfeld, würde er als eines der Urgesteine des deutschen SF-Fandoms nicht auch ausführlich über die Science-Fiction-Begeiste­rung der damaligen Jugend schreiben, die von Reihen wie "UTOPIA – Jim Parkers Abenteuer im Weltraum" oder den UTOPIA-Großbänden angeheizt wurde. Aber das war keineswegs die einzige Form von Literatur, die Jugendliche damals lasen. Gerade eben erst waren nämlich die preiswerten rororo-Taschenbücher ("RowohltsRotationsRomane") auf den Markt gekommen, durch die man für wenig Geld hochwertigen Lesestoff erwerben konnte – eine literarische Revolution, deren Sprengkraft man heute, in Zeiten der massenhaften Verbreitung von Taschen­büchern, gar nicht mehr ermessen kann.

Um ein Fazit zu ziehen: Die 1950er Jahre waren also selbst im Adenauer-Deutsch­land der Nachkriegszeit nicht nur restaurativ, sondern beinhalteten auch jede Menge an rebellischem Potential. Wie Christian Semler vom Sozialistischen Deut­schen Studentenbund es einmal formulierte: "Eigentlich bin ich ein 58er." In diesem Jahrzehnt wurden also bereits die Grundlagen für die Jugendrevolten der 1960er Jahre gelegt. Von all dem weiß Rainer Eisfeld in seinem klugen und zugleich sehr vergnüglichen Buch wunderbar zu berichten, in dem sich das subjektive Erleben des Zeitzeugen auf gelungene Weise mit einer objektiven soziologischen Analyse verbindet. Rainer Eisfelds Buch ist darum nicht nur für seine Zeitgenossen, sondern auch für uns, die wir die 1950er Jahre nicht bewußt oder aufgrund einer viel späteren Geburt gar nicht miterlebt haben, eine rundherum zu empfehlende Lektüre.

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© Verlag Dieter von Reeken / Rainer Eisfeld

Rainer Eisfeld

Die Zukunft in der Tasche

Science Fiction und SF-Fandom
in der Bundesrepublik – Die
Pionierjahre 1955-1960

Verlag Dieter von Reeken 2020
Paperback – 220 Seiten
(D) € 25,00
ISBN: 978-3-940679-11-6

Daß Rainer Eisfeld als Teenager in den 1950er Jahren ein begeisterter SF-Fan war, konnten wir bereits aus seinem Buch "Rock'n'Roll und Science Fiction" erfahren. Davon zeugt auch seine frühe Mitgliedschaft im "Science Fiction Club Deutschland" (SFCD) unter der Mitgliedsnummer 106. Diesen Club hatte der damalige SF-Redakteur des Rastatter Heftverlags Erich Pabel, Walter Ernsting, praktisch im Alleingang aus der Taufe gehoben – allerdings nicht nur, weil er (wie man heute wohl sagen würde – für die Science Fiction "brannte": "SF ist mein Hobby, aber es ist auch mein Leben. Ich lebe nicht von, sondern für SF!" Ein weiterer Grund war offenkundig, daß Ernsting eine solide Fanbasis – mithin: viele potentielle Käufer – für die SF-Produkte des Pabel Verlages, nämlich "Utopia – Jim Parkers Abenteuer im Weltraum" ab 1953; und den "Utopia-Großband" ab 1954 schaffen wollte. Diesem Zweck diente auch die Erfindung der Leserkontaktseite, die unter dem Namen "Meteoriten" im "Utopia-Großband" erschien.

Die Science Fiction hatte Walter Ernsting (Autorenpseudonym: Clark Darlton) nach seiner Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft als Übersetzer für die eng­lischen Besatzungstruppen in den NAAFI-Läden der englischen Kasernen für sich entdeckt. Kurzentschlossen suchte er ein paar Bände aus seinem Bestand zusam­men, setzte sich in seinen VW Käfer und fuhr nach Rastatt, wo man ihn alsbald tatsächlich als SF-Übersetzer und -Redakteur einstellte.

Programm des Verlages war vorgeblich, die "besten SF-Romane" zu präsentieren. Dazu fehlte es jedoch anfangs noch an Kontakten in die USA, so daß man sich mit den von Vielschreibern hingeschluderten englischen Romanen behelfen mußte, die noch dazu den Vorteil hatten, das vorgegebene Budget von 400 DM für den Erwerb der Rechte nicht zu sprengen. Ernsting verteidigte das später so: "(Es sei nötig), die deutschen Leser praktisch so zu erziehen, daß sie eines Tages einen Roman von Heinlein oder Asimov nicht nur lesen, sondern auch verstehen werden ... Amerika begann mit den ‚Pulps‘, also beginnen auch wir damit ..."

Diese Haltung Ernstings sollte nicht lange unwidersprochen bleiben. Innerhalb des rasch wachsenden SFCD bildete sich alsbald eine Opposition aus "jungen Wilden", die für eine bessere – sprich: qualitativ gehaltvollere – SF anstelle von "Wildwest im Weltraum" plädierte. Zu diesen "jungen Wilden" zählte zum Beispiel auch Wolf­gang Jeschke (Mitgliedsnummer: 287), der spätere legendäre Herausgeber der SF-Reihe des Wilhelm Heyne Verlags.

Auch sonst hatte der SFCD mit allerlei Widrigkeiten zu kämpfen. Es gab Versuche, den Club zu kommerzialisieren; so wurden etwa Clubsiegel für besonders gelun­ge­ne Romane vergeben, wobei es einmal sogar dazu kam, daß Walter Ernsting sich selbst eines in seiner Rolle als "Clark Darlton" verlieh; und es gab erste Cons, die – wie der legendäre, von Anne Steul organisierte "Wetzcon" in Wetzlar – durchaus nicht immer nur harmonisch verliefen. Außerdem erfolgten Konkurrenzgründungen, etwa unter der Führung von K.H. Scheer, und der gescheiterte Versuch, den SFCD als "SF-Club Europa" auf den gesamten deutsch­sprachigen Raum auszuweiten. Rainer Eisfeld hat all das hautnah miterlebt und berichtet darüber im vorliegenden Buch so detailliert, daß man über die Fülle an Informationen nur staunen kann. Wer also etwas über die Frühgeschichte des deutschen SF-Fandoms erfahren möchte – hier wird er (oder sie) auf jeden Fall fündig werden!

Ergänzt wird der überaus lohnende Band durch nicht weniger als 36 Bildseiten, darunter zahlreiche Titelbilder in Farbe. Von besonderem Interesse ist indes vor allem das reichhaltige Fotomaterial, das viele jener Akteure zeigt, von denen in "Die Zukunft in der Tasche" die Rede ist.

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Bei nächster Gelegenheit werde ich noch zwei weitere Bücher Rainer Eisfelds rezensieren, die im Verlag Dieter von Reeken erschienen sind, nämlich die Auf­satzsammlungen "Abschied von Weltraumopern" und "Zwischen Barsoom und Peenemünde".

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© Verlag p.machinery / Marianne Labisch

Jörg Weigand

Entwirrungen

mit Bildern von Marianne Labisch

Verlag p.machinery Michael Haitel
Außer der Reihe 58
Hardcover im Querformat 14,5 x 12,5 cm
136 Seiten; mit Lesebändchen
(D) € 19,90
ISBN: 978-3-95765-242-3

Und noch einmal Jörg Weigand. Bereits im Juli 2021 hat er unter dem Titel "Entwirrungen" seinen ersten Gedichtband vorgelegt. Es wird wohl auch sein einziger bleiben, denn entstanden sind diese Gedichte bereits zwischen 1978 und 1988; anschließend ist Jörg Weigands Gedichtproduktion wieder versiegt.

Für die Veröffentlichung hat er die Texte in vier thematische Gruppen unterteilt: "Science-Fiction", "Politisches", "Persönliches" und "Diverses". Die Gdichte selbst bedienen sich durchweg einer eher einfachen, beinahe journalistischen Sprache – literarisch Überhöhtes oder gar Verrätseltes wird man hier also nicht finden.

Zwei Beispiele, die mich als Mitglied der schreibenden Zunft sehr angesprochen haben, möchte ich an dieser Stelle gerne vorstellen. Sie entstammen beide der Themengruppe "Persönliches".

Autor sein (1987)

Sich selbst erkennen
Sein Innerstes umkrempeln
Sich ganz enthüllen
Sein Bestes geben

Das Ist Schreiben
Und mehr:

Selbstaufgabe im Tun
Sich finden im Augenblick
Sich vergessen und
Sich erfüllen
In Einem

Das
Ist es –
Autor sein

Worthaus (1988)

Man müsste
Zeilen schreiben
die warm genug sind,
sich darin wohlzufühlen.

Dann könnte man
in dieses Worthaus einziehen
und darin aufgehen.

Gleichberechtigt zur Seite gestellt sind den Gedichten 26 abstrakte Bilder der in der Nähe von Freiburg im Breisgau lebenden Künstlerin Marianne Labisch, die in ihrer wunderbaren Farbigkeit dem Betrachter weite Assoziationsräume eröffnen. In welchem Zusammenhang sie mit dem jeweiligen Gedicht stehen – oder stehen könnten –, das muß jeder Betrachter allerdings für sich selbst herausfinden.

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© BoD / Detlef Eberwein

Regina Miriam Bloch

Die Schweinegötter und andere Visionen

Übersetzt und mit einem Nachwort von Detlef EberweinÜbersetzt und mit einem Nachwort von Detlef Eberwein

Verlag: BoD (Books on Demand), Norderstedt 2021
Paperback · 94 Seiten
Preis Print: € 7,99 / Kindle-Ebook € 3,99
ISBN: 978-3-75431663-4

"In meinem Traum wanderte ich einen endlosen Pfad entlang, grau wie der Dämmerungsrauch, bevor die Nacht die Feuer ihrer Sterne auf Gottes Herdstelle entfacht hatte. Er wand sich endlos weiter wie eine graue Schlange, die sich aufrollt. Die Bäume waren dürr und düster und dräuten wie Wolken durch die hartnäckigen Nebel."

So beginnt die jüdisch-englische Schriftstellerin Regina Miriam Bloch (1888-1938) den ersten jener von ihr selbst als "Visionen" bezeichneten poetisch-phantastischen Texte ihres 1917 in London unter dem Titel "Die Schweinegötter und andere Visionen" veröffentlichten ersten Kurzgeschichtenbandes. 1917 – richtig, das war eben jenes Jahr, in dem die Schlachten des Ersten Weltkriegs auf beiden Seiten einen immer ungeheuerlicher werdenden Blutzoll forderten. Wie sehr dies Regina Miriam Bloch geschmerzt haben muß, kann man aus jedem ihrer in diesem Band gesammelten Texte herauslesen, vor allem, wenn man weiß, daß sie in Deutschland – genauer gesagt: im heutigen Thüringen – geboren und vermutlich auch aufge­wachsen war, wo ihr Vater John (oder Jacob) Bloch die Sportzeitschrift "Spiel und Sport" herausgab.

Die "Schweinegötter" der titelgebenden Vision sind darum natürlich Mammon (der Gott des Geldes) und Mars (der Gott des Krieges). Ihnen werden von ihren bösen Priestern Seelenflammen als Opfer dargebracht: "Aber ich war angewidert, wandte mich ab und ging hinüber zu dem Baal, der in dem Feuerofen am linken Ende der Halle stand. Und siehe da, auch hier waren Priester, die Seelenflammen trugen! Nur waren ihre Gewänder nicht aus Gold und Silber (wie die Mammons, KUB), sondern aus Eisen und Stahl. Und der Kopf des Molochs war anders, denn es war der eines Ebers. Aus seinen Kiefern standen zwei große Hauer wie Stacheln vor, und aus ihnen schossen abwechselnd Flammen und Rauch inmitten eines wütenden Tosens, das seine ganze ungeheure Masse von Eisen durchrüttelte." Ein außerordentlich poetisches, aber zugleich sehr eindeutiges Bild für die Menschen verschlingende Kriegsmaschinerie auf den Schlachtfeldern in Flandern!

Obwohl Regina Miriam Blochs "Schweinegöttern" ein lobendes, erfreulicherweise auch in der vorliegenden deutschen Ausgabe enthaltenes Vorwort des seinerzeit sehr bekannten jüdisch-englischen Romanciers, Theaterautors und Übersetzers Israel Zangwill (1864-1926) beigegeben war, scheint ihr Buch rasch in Vergessen­heit geraten zu sein. Ihre Werke sind heute im internationalen Buchhandel prak­tisch unauffindbar, sieht man einmal von einem in Indien (!) erschienenen Reprint der Erstausgabe ab, der unter dem verstümmelten Titel "& Other Visions" erschien, was sich vielleicht daraus erklärt, daß man den indischen Lesern keine Schweine­götter im Titel zumuten wollte, da Schweine etwa bei Moslems als unreine Tiere gelten. Auf diesem Reprint fußt auch die vorliegende deutschsprachige Ausgabe.

Wiederentdeckt, übersetzt und herausgegeben hat diese faszinierende Merkwürdig­keit der in Spanien lebende Übersetzer Detlef Eberwein, den ich kürzlich zusammen mit Manfred Wilhelm interviewt habe. Ergänzt hat Eberwein das Buch noch um eine weitere Geschichte, die er dem Blog "Weird Women" im Internet entnahm, nämlich "Zulalie Laila", ein wunderbares orientalisches Märchen in der Tradition von "Tausend­undeine Nacht", in der eine Kurtisane die ersten Anzeichen des heran­nahenden Alters an sich entdeckt und beschließt, als ihren letzten Liebhaber nun den Tod zu sich einzuladen. Doch so sehr sie sich auch schmückt und parfümiert, er will einfach nicht kommen, obwohl nach einem orientalischen Sprichwort "Der Tod (...) ein schwarzes Kamel (ist), das vor jedermanns Tür kniet." (wie es im Motto der Geschichte heißt). Am Ende bleibt ihr also nichts anderes übrig, als selber ein wenig nachzuhelfen: "'Du Schlüssel zu der Verschleierten Tür, die Welt würde dich Gift nennen, aber mir bist du ein Liebestrank. (...) Allah, vergib', stöhnte sie (als das Gift zu wirken begann, KUB), 'doch keine große Liebe wird ohne großes Opfer gewonnen ...' Sie krümmte sich und schrie, während der Schweiß von ihrer Stirn tropfte. 'Wenn der Bräutigam zu seiner Braut gekommen ist', murmelte sie undeutlich, 'sollen uns die Musiker am Morgen nicht mit ihrer Musik wecken.'"

Und dann kommt der Tod wirklich: "Die Gitter klapperten, und das Licht der Kampfer­kerzen strömte in dem Wind zusammen, der sich erhebt, bevor der Morgen dämmert. Etwas Ungreifbares zerstreute die Stille des Hauses. Es stieg die Treppe hinauf, als ob es hastig herbeigerufen worden wäre. (...) Das Schwirren von Flügeln hörte auf in der Kammer. Der Mandelgeruch verging, und die Luft wurde drückend und stickig von den tropfenden Kerzen. (...) Um die Mittagszeit polterte die alte Fatma die Treppe hinauf ... Aber Zulalie Laila war noch nicht von ihrer Reise zurückgekehrt."

Magisch!

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