Interview mit dem Übersetzer Detlef Eberwein

Der in Spanien lebende und aufgrund einer schweren Erkrankung inzwischen im Ruhestand befindliche Profi-Übersetzer Detlef Eberwein beschäftigt sich seit einiger Zeit damit, vergessene Texte der Science Fiction und Phantastik aufzuspüren, um sie zu übersetzen und sie damit erstmals dem deutschen Leser­publikum vorzu­stellen. Zwei dieser Veröffentlichungen habe ich kürzlich hier auf meiner Internet­seite rezensiert. Grund genug also, Detlef Eberwein per E-Mail eine Reihe von Fragen zu seinem Vorgehen bei der Auswahl und der Übersetzung solcher Texte zu stellen. Das Interview, das zuerst in der Nummer 113 des vom »Terranischen Club EdeN (TCE)« herausgegebenen Fanzines PARADISE erschien, habe ich (KUB) geführt; eine ergänzende Frage stellte zudem mein TCE-Clubkamerad Manfred Wilhelm (MW).

Bild Nummer 113 des Fanzines PARADISE, in der das Interview mit Delef Eberwein zuerst erschienen ist · Coverbild © TCE

KUB: Bevor wir uns der Phantastischen Literatur zuwenden, möchten die Leser meiner Internetseite natürlich gerne etwas über den Menschen Detlef Eberwein erfahren ...

Eberwein: Ich bin 1944 in Schlesien geboren und in Hessen aufgewachsen, der Heimat meines Vaters. Über die Umwege Mainz (zum Studieren) und bayerischer Spessart (wo meine Frau eine Stellung als Studienrätin an einer Privatschule bekommen hatte) bin ich Ende der neunziger Jahre zum Arbeiten nach Spanien gezogen, wo ich bis zu meiner Pensionierung aus gesundheitlichen Gründen wie zuvor in Deutschland weiterhin als freiberuflicher Übersetzer tätig war – Internet und E-Mail, damals noch in den Kinderschuhen und in ihrer Tragweite nicht sonder­lich bekannt, hatten dies möglich gemacht, denn ich hatte fast ausschließlich für Kollegenbüros und Agenturen gearbeitet, und da war das schon alltäglich.

KUB: Vom Übersetzen technischer und medizinischer Texte sind Sie jetzt, im Ruhe­stand, also zum Übersetzen literarischer Phantastik übergegangen. Haben Sie diesen Hang zur Phantastik und vielleicht auch zur Science Fiction schon seit Ihrer Jugend verspürt, oder ist das ein Gebiet, für das Sie sich erst im fortgeschrittenen Alter zu interessieren begonnen haben?

Eberwein: Ganz ohne Vorgeschichte ist das nicht. In jungen Jahren habe ich viel von Hans Dominik und Jules Verne, mit einiger Begeisterung trotz strengsten Verbots ("Schundliteratur") auch Science-Fiction-Romane in Moewig- und Utopia-Heftchen gelesen. Meine Favoriten waren da Isaac Asimov, A. E. van Vogt und der "Pseudoamerikaner" Clark Darlton. Zumindest zeitweise die Lust an der SF hat mir wohl "Perry Rhodan" genommen, womit ich gar nichts anfangen konnte. Von Asimov und van Vogt habe ich später einiges im Original gelesen (z. B. "Foundation" bzw. "Isher"). Das Entsetzen, das mich deswegen überkam, wie man anfangs mit diesen Autoren in Deutschland so umgehen konnte, ist mir noch gut in Erinnerung. Dann wurde es eher klassisch (z. B. E.T.A. Hoffmann und die spanischen Roman­tiker Gustavo Adolfo Bécquer und Pedro de Alarcón, Miltons "Paradise Lost" und natürlich Poe). All dies habe ich aber damals nicht bewußt unter dem Begriff "Phantastik" subsumiert.

KUB: Wenn man so will, betätigen Sie sich ja als eine Art Indiana Jones der phan­tastischen Literatur, nämlich sozusagen als "Jäger der verlorenen Textschätze". Aber wo finden Sie die Texte, die zu übersetzen Sie reizt? Haben Sie diese seltenen, alten Texte, die sicher nicht so leicht zu finden sind, gezielt gesucht, oder haben Sie sich im Laufe der Jahre eine entsprechende Bibliothek aufgebaut? Oder recher­chieren Sie stattdessen vielleicht im Internet, wo es ja zum Beispiel auf einer Unterseite von archive.org, nämlich

jede Menge an historischen Pulps zu entdecken gibt, die inzwischen gemeinfrei, also nicht mehr durch ein Copyright geschützt sind?

Eberwein: Zunächst war das einfach ein Zufall. Ich hatte ein wenig in keltischen Sprachen herumgestöbert, über die ich nicht viel weiß, und da war mir ein in Corn­wall häufiger Familienname wegen seiner Nähe zu dem walisischen Pendragon auf­gefallen, Pendarves. So bin ich auf G. G. Pendarves gestoßen, das sich als Pseudo­nym der britischen Autorin Gladys Gordon Trenery herausstellte. Auf den Gedanken einer etwas gezielteren Suche nach unbekannteren Texten hat mich ein spanischer Verlag gebracht, der genau dies für spanische Literatur betreibt und in dem unter anderem auch zwei Bände mit phantastischen Erzählungen erschienen sind. Neue Anregungen beziehe ich vor allem aus der Sekundärliteratur über mir bekannte Autoren. Die dann folgende Recherche im Internet erfordert eben deswegen, daß es sich um recht unbekannte Schriftsteller handelt, oft viel Zeit und manchmal auch Phantasie.

KUB: Inzwischen bringen Sie Ihre Übersetzungen als Book on Demand (BoD) in Eigenregie heraus, worauf wir später noch zurückkommen sollten. Vorher gab es aber schon Übersetzungen von Ihnen, die in anderen Kontexten erschienen, näm­lich zwei Hefte der von Gerd-Michael Rose in Erfurt veröffentlichten Reihe "BunTES Abenteuer" und einen Band in einer Privatdruck-Reihe, die vom in der Phantastik-Szene ja sehr bekannten Robert N. Bloch herausgegeben wird. Wie ist es denn zu diesen Veröffentlichungen gekommen?

Eberwein: Die Reihe "BunTES Abenteuer" war mir im Laufe meiner Recherchen begegnet – wenn ich mich recht erinnere, hatte ich nach deutschsprachigen Ver­öffentlichungen von Mary Eleanor Wilkins Freeman gesucht. Ich fand die Reihe recht gut passend zu dem, was mich gerade beschäftigte. Ich schrieb Herrn Rose an, und wir einigten uns dann schon bald auf die beiden Hefte, die dort erschienen sind. Herr Bloch hatte die kurze Lebensbeschreibung G. G. Pendarves' auf der Rück­seite von "Der Herr des Bergsees" verfaßt, die einige Angaben enthielt, die mir nicht bekannt waren, und ich bat Herrn Bloch um die Quelle. Sozusagen als Neben­effekt ergab sich daraus die Veröffentlichung des Bändchens als einer seiner Privat­drucke.

Bild © Robert N. Bloch

KUB: Band 45 der Reihe "BunTES Abenteuer" ("Der Herr des Bergsees") enthält zwei und der Bloch'sche Privatdruck ("Ein Werwolf in der Sahara") vier Erzählungen des Pulpautors G.G. Pendarves.

Bild © Mario Franke / Edition TES

Band 46 der Reihe "BunTES Abenteuer" ("Der Bote des Planeten") hingegen enthält zwei Erzählungen des Franzosen José Moselli, wo­bei die Titelerzählung in der Tat "den Vergleich mit den Werken von H.-G. Wells nicht zu scheuen braucht", wie Robert N. Bloch in seinem Nachwort schreibt. Möch­ten Sie uns ein bißchen über diese beiden Autoren und darüber erzählen, warum es Sie gereizt hat, gerade diese Texte als erstes zu übersetzen?

Bild © Mario Franke / Edition TES

Eberwein: Eines haben beide gemeinsam: die geringe Beachtung, die man ihnen jahrzehntelang nach ihrem Tode geschenkt hat. G. G. Pendarves hat in den Weird Tales, die man getrost als Maß aller Dinge bezeichnen konnte, immerhin mehr als ein Dutzend Erzählungen veröffentlicht, und darüber hinaus wurde ihr noch die einmalige Ehre zuteil, daß zwei ihrer Erzählungen zweimal nachgedruckt wurden. Nur fünf weitere Beiträge von fünf verschiedenen Autoren wurden überhaupt zwei­mal nachgedruckt. Trotzdem dauerte es fast vierzig Jahre, bis ihr Robert Weinberg in seinen "Lost Fantasies" die Beachtung schenkte, die sie verdient hatte. Vielleicht noch schlimmer traf es José Moselli, dem man den traurigen Titel "Écrivain sans livres – Schriftsteller ohne Bücher" zuerkannte. Seine zahllosen Geschichten und Serien sind zeit seines Lebens entweder in Heftform oder als Fortsetzungen in Zeit­schriften erschienen, kein einziges Buch ist darunter. Erst in den siebziger Jahren haben die éditions Rencontre sein wohl wichtigsten Werk "La fin d'Illa – Illas Ende" in Buchform herausgebracht. Ein Punkt hat mich an Moselli zusätzlich fasziniert: Sein Werdegang – er war urspünglich Seemann und wurde erst danach zum Autor – weist verblüffende Parallelen zu dem Joseph Conrads auf, der auf der Liste meiner beliebtesten Erzähler ganz weit oben steht.

Bild © Detlef Eberwein

KUB: Im Anschluß daran haben Sie angefangen, Ihre Übersetzungen als BoD zu veröffentlichen. Die ersten beiden, die ich erst kürzlich auf meiner Internetseite rezensiert habe, waren wieder ein Werk von José Moselli, nämlich der Science-Fiction-Roman "Illas Ende", und eine Sammlung phantastischer Erzählungen des mexikanischen Autors Manuel Romero de Terreros y Vinent, "Das Bronzetor". Inzwischen ist noch ein dritter Band erschienen, nämlich "Die Schweinegötter" von der Engländerin Regina Miriam Bloch, den ich ebenfalls in Kürze rezensieren werde. Wie ich von Ihnen erfuhr, befindet sich darüber hinaus noch ein weiterer Band, nämlich "Die Geier" von Angeles Vicente, einer in Argentinien aufgewachsenen Spanierin, in Vorbereitung. Außerdem arbeiten Sie derzeit an einem weiteren und diesmal besonders anspruchsvollen Projekt: Der Übersetzung der "Historias ociosas" ("Überflüssige Geschichten") von Héctor Barreto, einem am 23. August 1936 von Faschisten ermordeten Literaten, der überaus dunkle und verrätselte phantastische Kurzgeschichten geschrieben hat. Und dann schrieben Sie kürzlich in einer Mail etwas von einem bisher in Deutschland noch nie veröffentlichten Roman von Edgar Wallace, den Sie gerne übersetzen würden.

Bild © Detlef Eberwein

Eberwein: Die Kriterien sind auch hier dieselben: Es geht mir in der Regel um Auto­ren, die namentlich oft weder in der deutschsprachigen Wikipedia noch bei der DNB vorkommen. Um das klarzustellen: Mit einem wie immer auch gearteten "Sen­dungs­bewußtsein" hat das gar nichts zu tun – es macht mir einfach Spaß. Schon das Suchen bereitet mir Freude ("Der Weg ist das Ziel"), und wenn am Ende ein Fund steht, ist sie nur umso größer. Edgar Wallace fällt da natürlich aus dem Rahmen, aber der Episodenroman "Heines Abenteuer (als deutscher Spion während des Ersten Weltkrieges in England)" ist zumindest alles andere als typisch für Wallace: Er rechnet unbarmherzig, aber dennoch in meinen Augen unbeschreiblich komisch mit deutschen "Tugenden" ab.

Bild © Detlef Eberwein

KUB: Inzwischen hat sich ja gerade hier in Deutschland, aber nicht nur hier, eine Art von "Sprachpolizei" breitgemacht, die am liebsten Worte wie "Neger/Nigger" oder "Zigeuner" rückwirkend aus allen in früheren Zeiten entstandenen literarischen Werken tilgen möchte. Solche Begriffe finden sich natürlich gerade auch in den klassischen Pulps. Wie gehen Sie beim Übersetzen damit um?

Eberwein: Grundsätzlich betrachte ich das als eine vom Übersetzen unabhängige Frage. Ich halte es für absurd, ein gesellschaftliches Problem quasi sprachlich lösen zu wollen. In meinen Augen ist es völlig unerheblich, ob ein Mensch als Nigger oder als Afroamerikaner diskriminiert wird oder ob Zigeuner als Sinti und Roma nicht auf einen Campinglatz gelassen werden. Ich glaube sogar, daß es sich dabei um einen Nebenschauplatz handelt, der von der Lösung des eigentlichen Problems ablenkt und diese eher kontraproduktiv beeinflußt.

KUB: Um die Frage noch etwas zu präzisieren: In G. G. Pendarves' Erzählung "Ein Werwolf in der Sahara" geht es unter anderem um Jesiden, eine als "Teufels­anbe­ter" diskriminierte Volksgruppe im vorderen Orient. Statt durch Umschreiben in den Text einzugreifen, haben Sie als Lösung eine Fußnote gewählt, die ich hier einmal zitieren möchte: "Der Irrglaube, Jesiden würden den Teufel in Gestalt des Engels Taus anbeten, hat sie bis in unsere Tage schlimmsten Verfolgungen ausgesetzt. Die folgenden Aussagen über die Jesiden sind natürlich auch nichts als blühender Un­sinn."

Eberwein: Ich habe an dieser Stelle eine Fußnote eingefügt, weil mir einerseits die folgenden Passagen selbst für Pulp-Verhältnisse ungewöhnlich kraß erschienen und weil andererseits der Fall der Jesiden ja ganz aktuell ist, da diese Verfolgungen derzeit besonders vom sogenannten "Islamischen Staat" (IS) ausgehen, der jesi­dische Männer systematisch ermordet und jesi­dische Frauen brutal versklavt.

KUB: Opfer solcher falschen Darstellungen in der Unterhaltungsliteratur früherer Zeiten dürften aber nicht nur die Jesiden sein; vielmehr muß man leider davon ausgehen, daß sich in Pulp-Geschichten auch häufiger rassistische und anti­semi­tische Ressentiments finden werden. Würden Sie auch in solchen Fällen entspre­chende Fußnoten oder Vor- bzw. Nachworte benutzen, anstatt den Text umzu­schrei­ben?

Eberwein: Wenn ich es für notwendig hielte, würde ich in einem Vor- oder Nachwort darauf hinweisen, obwohl in den meisten Fällen dem heutigen Leser eigentlich zu­zu­muten ist, einen Text historisch einzuordnen. Wer das nicht will, den wird auch eine Umschreibung nicht von seiner Meinung abbringen. Einmal abgesehen davon, daß auch mir Mißverständnisse und Irrtümer unterlaufen, bewußt umschreiben würde ich persönlich einen Text niemals. Das Original ist für mich sakrosankt, es gebietet über mich, nicht umgekehrt. Dem Vorwurf des italienischen Wortspiels "traduttore – tradittore (Übersetzer – Verräter)" möchte ich mich nicht aussetzen. Aber wohlgemerkt: wir sprechen von literarischen Texten. Bei sogenannten Sach­büchern oder gar wissenschaftlichen Werken wird man gewiß andere Maßstäbe anlegen müssen.

MW: Die Übersetzung solch alter Texte ist literarisch sicher nicht leicht und wahrscheinlich zeitaufwendig. Wieviel Zeit vergeht eigentlich zwischen Ihrem Beginn der Übersetzung und der abschließend korrigierten Fassung, die als BoD veröffentlicht wird?

Eberwein: Das ist nun eine Frage, die ich leider überhaupt nicht beantworten kann. Aus gesundheitlichen Gründen bin ich ja dem Zeit- und Prüfungsdruck eines Lebens als freiberuflicher Übersetzer nicht mehr gewachsen, und dem setze ich mich natür­lich auch als Dilettant nicht aus (noch so ein Wort). Deshalb arbeite ich immer an mehreren Texten gleichzeitig. Wenn ich zum Beispiel an einer Stelle nicht weiter­komme, lege ich den Text gewöhnlich nach einer recht kurzen Weile in der Hoff­nung auf einen späteren Geistesblitz zur Seite und widme mich einem anderen. Es kann aber auch sein, daß es mich nur nach Abwechslung dürstet. Wenn die Roh­übersetzung fertig ist, dauert es bis zu endgültigen Fassung nach meinen bishe­ri­gen Erfahrungen noch etwa vier Wochen (die ich aber wiederum natürlich nicht nur damit verbringe).

KUB: Lieber Herr Eberwein, ich danke Ihnen sehr herzlich für Ihre Bereitschaft zu diesem E-Mail-Interview. Und natürlich freue ich mich auf viele weitere Ihrer lite­rarischen Entdeckungen!

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